Reparaturbericht AEG Cantola von 1929

  • Anfang der siebziger Jahre schenkte mir ein alter Herr aus der Nachbarschaft einen Mende E38N, zusammen mit einem Pilka-Kopfhörer und einem Lautsprecher AEG Cantola, alle im Familienbesitz seit 1929. Er wusste, dass ich als damals 15-jähriger mich gerne mit Radios beschäftigte.

    Vor diesen Geräten hatten in den frühen 30er Jahren meine Großeltern Abende verbracht, es war das einzige Rundfunkgerät im Dorf, und der Dorflehrer lud bisweilen die Nachbarschaft zum abendlichen Radiohören ein. Daher habe ich einen "familiären" Bezug zu diesen Geräten.

    Die Geräte waren nicht mehr in gutem Zustand. Das Mende-Radio hatte ich damals rudimentär wieder ans Laufen gebracht, und die fehlende Front des Lautsprechers provisorisch ersetzt. Nun habe ich mich mit beiden Geräten noch einmal beschäftigt und sie auf Vordermann gebracht. Hier soll es jetzt nur um den Lautsprecher gehen.
    Außer der quasi fehlenden Front hatte er auch das Problem, dass ihm nur ein leises verzerrtes Quäken zu entlocken war.

    Um an das System heran zu kommen, muss entweder das verleimte Holzgehäuse zerlegt werden, oder die umlaufende Sicke aus einem roten Filzstoff vom Rahmen gelöst werden. Ich entschied mich für letzteres, was mir aber nicht zerstörungsfrei gelang, denn der Filz war nun nach fast hundert Jahren recht bröselig.

    Nun hatte ich Sicht auf das Vierpolmagnetsystem, und es war klar, warum der Lautsprecher nur noch krächzen konnte. Die Trägerplatte aus Zink, auf der die Magnete und der metallene "Schwinger" montiert waren, hatte starken Befall von "Zinkpest". Eigentlich nur noch Gebrösel, aber man konnte noch diverse Maße abnehmen. Die Platte habe ich dann mit einem 3D Konstruktionsprogramm nachgebildet. Da der Schwinger zwischen den Magnetpolen oben und unten jeweils nur ca. 0,15mm Hub hat, stellte sich beim ersten Test heraus, dass einige Maße korrigiert werden mussten. Also den ersten Entwurf entsprechend geändert, und in PET-G Material neu ausgedruckt. Auf der Hinterseite habe ich eine 1,5mm starke Stahlblechplatte untergelegt und verschraubt, damit sich auf Dauer nichts verziehen kann.

    Die Justierung des Schwingers ist dabei etwas tricky, mit untergelegten Papierstückchen ließ es sich dann so einstellen, dass der Spalt von 0,15mm an allen Stellen etwa gleich war (Fühlerlehre aus dünner Folie).
    An den Anschlüssen der Magnetspulen konnte ich im Altzustand ein parallel angeschlossenes Bauteil als Kondensator mit 7nF identifizieren, den habe ich durch einen passenden neuen Folienkondensator ersetzt.

    Dann das System wieder an der Rückwand verschraubt, und an die hinteren Buchsen verkabelt. Ob diese Buchsen noch etwas mit dem Originalzustand zu tun haben, konnte ich nicht klären. Mangels besserem Wissen habe ich das so belassen.
       
    Nun musste die umlaufende Sicke ersetzt werden. Auf der Suche nach dem richtigen Material fiel mir eine dünne Bahn Putzwolle in die Hände, die recht riss- und zugfest war. Bei einem Membranhub von maximal 0,3mm hielt ich das für geeignet, ich schnitt mir die Sicke zurecht, und verklebte sie erst auf der Unterseite des Schalltrichters. Nach der Durchtrocknung des Klebers (Pattex Classic) stellte ich die Höhe des Trichters mit den Rändelschrauben in der Mitte des Konus auf passendes Maß ein, und verklebte nun die äußere Seite der Sicke am inneren Holzrahmen. Wieder warten auf Abbinden des Klebers, danach der erste Test. Sehr gespannt auf das Ergebnis. Lautsprecher an den Mende E38N angeschlossen, den Mittelwellensender mit Bluetooth-Empfänger, den ich mir kurz zuvor gebaut hatte, mit Musik gefüttert, am Radio den Sender gesucht. Toll, so laut und klar habe ich den Cantola noch nie gehört. Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis.

    Nun war noch die Front in einen möglichst originalgetreuen Zustand zu versetzen. Was den vorderen Rahmen des Gerätes angeht, so gab es wohl herstellerseitig verschiedene Ausführungen, wie in den Werksfotos von AEG (z.B. im Radiomuseum.org) zu sehen ist. Ich habe mich dafür entschieden, die Variante mit 2 Halbrundstäben rundum möglichst getreu nachzubauen. Dazu habe ich eine einseitig abgerundete Flachleiste 5x40mm als Basis verwendet, auf diese dann außen einen 15mm breiten, daran anschließend einen 10mm breiten Halbrundstab aufgeleimt. Das ist alles handelsübliches Baumarkt-Material.

    Das Ganze dann auf die erforderlichen Längen auf Gehrung zugesägt, und mit Hilfe von Rahmenspannern auf Stoß verleimt. Meine Befürchtung, dass die Verleimung solch kleiner Flächen zu instabil sei, hat sich nicht bestätigt. Die Seiten des Frontrahmens auf Maß des Korpus abgeschliffen, dann den Rahmen und den Korpus in der Farbe, die der originalen Farbe des Korpus am nächsten kommt, lackiert.
    Nach Durchtrocknung der Lackschicht den Bespannstoff mittels eines angefertigten Hilfsrahmens eingeklebt. Der gewählte Stoff entspricht nicht ganz dem ursprünglich verwendeten Seidenmaterial, er passt aber farblich sehr gut und hat ebenfalls eine seidenglänzende Oberfläche. Zwei Stahlstifte (kopflose kleine Nägel) in den Korpusrahmen eingesetzt, und den Frontrahmen in die Nagelspitzen angedrückt, so ist er für die nun folgende Verklebung unsichtbar fixiert.

    Fertig. Nun muss ich nur noch für das E38N und den Cantola ein feines Plätzchen im Wohnzimmer aushandeln, dort dürfen sie ab sofort historische, aber auch aktuelle Musik abdudeln.

  • Er wusste, dass ich als damals 15-jähriger mich gerne mit Radios beschäftigte.

    Der alte Herr hatte einen guten Riecher. Glückwunsch zur hartnäckigen und erfolgreichen Verfolgung des "Arbeitsauftrags". Die Rekonstruktion des Zinkpest-Opfers war ein Generationenprojekt, das nun erfolgreich abgeschlossen wurde.

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