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Klemt Echolette M100
#1
Vor langer Zeit schenke mir jemand dieses Gerät, das mich nicht interessierte und daher gleich in einer dunklen Ecke verschwand. Vor ca. 30 Jahren entdeckte es unser Sohn und fragte, ob er die goldige Kiste für seine gerade gegründete Rockband verwenden dürfte. Die Rockband übte in einem Keller und eines Tages gab es einen Rohrbruch, der den Keller flutete. Beim nächsten Einschalten gab die Echolette ein Rauchsignal von sich... und landete wieder bei mir.
Da stand sie nun, bis sie vor kurzem von unserem Schwiegersohn entdeckt wurde, der in seiner Freizeit ebenfalls in einer Rockband spielt. Er bekam bei dem Anblick vor Freude ganz feuchte Augen und hätte sie gerne sofort mitgenommen. Aber seit den Rauchsignalen war ja nichts mehr passiert.
Nun ist ja bald Weihnachten und da habe ich mir gedacht: "das gute Stück repariere ich mal kurz" - und schon haben wir ein Weihnachtsgeschenk für den Schwiegersohn. Aber mit dem "kurz mal reparieren" wurde es nichts. Die Echolette hatte doch unter dem Wassereinbruch stärker gelitten, als ich gehofft hatte.
Inzwischen funktioniert sie wieder und wenn man sie richtig aufdreht, bewegen sich die Teppichfransen.
Da es in unserem Forum inzwischen auch musizierende Mitglieder wie z.B. die Beate gibt, dachte ich mir, ich schreibe mal etwas über das Gerät:


Hersteller: KLEMT
Typ: Vokalversätrker
Modell: Echolette M100
Baujahr: ca. 1968
Garantie Nr:
73587
Röhrenbestückung: 4 x ECC83
Transistorbestückung: BC116A, BC115, 2N4036, 2N2102, 2x2N3055, 2N3702, TIS43, 2N3704
Bedienelemente:
Front:
- links: 4 Lautstärkeregler mit Zugschaltern zum aktivieren des Hallausgangs (ganz links DIN-Buchse)
- rechts: Lautstärke und Klangregler
Gehäuse: Metall
Anschlussmöglichkeiten Rückseite:
- 2 parallel geschaltete Lautsprecherausgänge mit wählbarer Impedanz 3,5 ... 20 Ohm.
- Tonbandausgang (DIN-Buchse)

       

Die Schaltung:

   

Die Anodenspannungsversorgung habe ich zwecks besserer Leitungsverfolgung rot markiert.

Wie man sieht, hatte sich Klemt mal etwas ganz ungewöhnliches ausgedacht: Man verwendete nicht - wie andere Hersteller - im Vorverstärker Transistoren und im Leistungsverstärker Röhren, sondern genau umgekehrt. Neulich las ich irgendwo, dass die M100 Ladenhüter waren und daher nur kurzzeitig von Klemt gebaut wurden. Keine Ahnung warum - für meine Ohren klingen diese Verstärker sehr ordentlich.

Der M100 hat 4 Eingänge. Die Eingangssignale werden in den Trioden von Rö1 und Rö2 (beide ECC83) vorverstärkt, dann auf 4 individuelle Tonblenden R50, R53, R56, R59 und 4 individuelle Lautstärkeregler R62 ... R65 gegeben. Von dort werden die Signale verzweigt.

Erstens werden sie über die Summierwiderstände R66 ... R69 auf das Gitter des einen Triodensytems von Rö3 (unten) gegeben,  und dann vorverstärkt über C37, R30 dem Ausgang zum Hallgerät zugeführt. Im Signalweg liegen die Schalter S1 ... S4. Diese werden betätigt indem man die Knöpfe der 4 Lautstärkepotis herauszieht. Es kann also gewählt werden, ob alle 4 oder nur einzelne Eingangssignale überlagert und dem Hallgerät zugeführt werden.
In der Ansicht von schräg unten erkennt man unter jedem der 4 Lautstärkeregler einen dicken Pfeil und 3 vertikale Striche. Der Pfeil ist das Symbol für "Herausziehen" und die 3 Striche für "Nachhall".

   

Außerdem werden die Signale (ohne dazwischen liegende Schalter) über die Summierwiderstände R75 ... R78 auf das Gitter der 2. Triodensystems von Rö3 gegeben, und dort sowie in einem System von Rö4 verstärkt.
Das vom Hallgerät zurück kommende Siganal wird über Entkopplungswiderstände ebenfalls auf das Gitter des 2. Triodensystems von Rö3 gegeben und somit dem unverzögerten Summensignal überlagert.

Auf das linke System von Rö4 folgt das Haupt-Klangregelnetzwerk mit den Reglern R89, R95, sowie der Haupt-Lautstärkeregler R93. Das gefilterte Signal wird im 2. Sytem von Rö4 weiterverstärkt,  und über den Spannungsteiler R98 / R99 dem transistorisierten Leistungsverstärker übergeben. Der Verstärker weist keine Besonderheiten auf , und wird daher nicht im Detail beschrieben.

Interessant finde ich die Lösung, die man hier für eine Überlast-Abschaltung gewählt hat:

In der Emitterleitung des unteren 2N3055 (T5) liegt der Sense-Widerstand R21 mit 0,15Ohm. Übersteigt der Strom durch diesen Widerstand einen bestimmten Wert, so wird der Transistor T9 (2N3704) durchgesteuert. Damit wird auch der Unijunction Transistor T8 (TIS43) durchgesteuert -> die Lampe S6 in seinem Emitterpfad leuchtet - das ist die untere der beiden Lampen auf der rechten Seite der Frontplatte. Der TIS43 wurde hier übrigens, wie auch in allen anderen Schaltbildern, fälschlicherweise als Junction-FET gezeichnet.
Durch die hieraus resultierende Potentialverschiebung an der Basis von T7 (2N3702) wird letztendlich auch dieser durchgesteuert und legt den NF-Eingang des Leisungsverstärkers an Masse. Der Verstärker wird "stumm geschaltet" ... auf Neudeutsch: "gemutet".

Die Schaltschwelle der Überlast-Abschaltung kann durch den Trimmregler R17 in der Emitterleitung des 2N3704 eingestellt werden.
Nun fragt man sich, wie man denn den Verstärker wieder aktiviert? Das geht folgendermaßen: Man drückt auf den Knopf des Haupt-Lautstärkereglers. Dadurch schließt der Taster S6  Emitter und Gate 2 (unterer Anschluss) des TIS43 kurz (beide liegen dann auf Masse).
Nun muss man wissen, dass Unijunction Transitoren so ähnlich wie Thyristoren funktionieren. Sind sie erst einmal durchgeschaltet, verharren sie in diesem Zustand, bis man ihnen die Betriebsspannung wegnimmt. So auch hier beim TIS43. Wird er über Gate 1 (den oberen Anschluss) durchgesteuert, so bleibt solange in diesem Zustand, bis die Spannung zwischen Emitter und Gate 2 verschwindet.

Drückt man nun den Knopf des Haupt-Lautstärkereglers  und der Verstäker ist sofort wieder übersteuert, so schaltet er sofort wieder ab. Man wird also im praktischen Fall so vorgehen, dass man die Lautstärke etwas zurücknimmt und erst dann den Knopf drückt. Liegt man dann unterhalb der Übersteuerungsschwelle, so läuft der Verstärker wieder und die rote Kontrolleuchte erlischt.

Unter der roten Leuchte und neben dem Lautstärkeknopf sieht man übrigens die gleichen Kasten-Symbole, die bei Klemt "Stummschaltung" bedeuten.

   

Nun ein paar Detailbilder der Verdrahtung: Hier zunächst ein Blick von oben auf das ausgebaute Chassis.

Unten im Bild die weißen Plastik-Stellrädchen der erwähnten 4 Vorverstärker-Tonblenden. Diese sind natürlich auch dann erreichbar, wenn das Chassis nicht ausgebaut ist: Das Gehäuse hat oben einen Deckel, der herausgeklappt werden kann, sodass die Tonblenden im Betrieb bedient werden können.

   

Oben im Bild der Rippenkühlkörper für die 2 Stück 2N3055 des Leistungsverstärkers.

Das Chassis von unten:

   

Der transistorisierte Leistungsverstärker: Der Kühlkörper mit den 2 x 2N3055 sitzt huckpack auf der Rückseite der Platine.

   

Ein Detailbild der Komponenten für die Überlastabschaltung:

   

Von links nach rechts die Transistoren T9 (2N3704), T8 (TIS43) und T7 (2N3702)
Darunter der Regler R17, mit dem die Schaltschwelle der Überlastabschaltung eingestellt werden kann.

Bei dem zweiten, vertikal stehenden Trimmregler handelt es sich um R3, mit dessen Hilfe die Mittenspannung der Endstrufe justiert werden kann. Laut Einstellvorschrift soll die Mittenspannung bei einer Oberspannung von +75V auf +39V justiert werden, also etwas höher als die halbe Oberspannung. Der Grund hierfür legt in der nicht vollkommen symmetrischen Aussteuerung der Endstufe. Durch diese "Fehljustierung" erreicht man, dass bei hoher Aussteuerung positive und negative Halbwellen ab der gleichen Amplitude geklippt werden.

Witzig finde ich die Stromversorgung:

   

Die 4 Röhren ECC83 werden mit Gleichspannung in Serienschaltung geheizt, benötigen also 4 x 12,6 V. Die transistorisierte Endstufe wird mit +75V betrieben. Für die Röhrenheizung werden die überschüssigen 25 V über den Vorwiderstand R104 vernichtet.
Als Gleichrichter verwendet man hier eine Graetzschaltung aus 2 Dioden 703D + 2 Dioden 703DR im Einpressgehäuse , die eigentlich für Drehstrom-Lichtmaschinen entwickelt wurden. Das nenne ich mal einen soliden Gleichrichter - den bekommt man nur mit einem Hammer kaputt.

   

Schlussbemerkung:
Nach diesen langatmigen Erklärungen wird sich der Leser fragen: "Wo lag nun eigentlich die Ursache für die Rauchentwicklung?"
Die Erklärung: Viele Elkos hatte viel zu hohe Leckströme und auf der Platine des Leistungsverstärker waren fast alle Transistoren zerstört, inclusive derer die für den Überlastschutz verantwortlich waren. Die 2N3055 hatten Kurzschluss. Die +75V Versorgung ist mit 6A abgesichert. Da kann man sich vorstellen, dass hohe Ströme flossen und so einiges überhitzt wurde.


Nachdem alle offensichtlich defekten Komponenten getauscht waren, und der Verstärker im Prinzip wieder prächtig funktionierte, stellte sich ein besonders diabolischer Fehler ein: Aus dem Lautsprecher kam sporadisch ein Knistern und Zischeln, das sich änderte, wenn man auf die Hauptplatine drückte.
Nach langem Suchen habe ich den/die Fehler gefunden:
Die 4 keramischen Röhrenfassungen habe sehr stramme Kontaktfedern. Jedes Mal wenn man die Röhren zieht oder steckt wird die Platine extrem durchgebogen. Dies führte zu Haarrissen in den Leiterbahnen, insbesondere in der Nähe der Röhrenfassungen an den Übergängen zwischen dem verzinnten und dem blanken Teil der Leiterbahnen.
Die Suche nach diesen Schwachstellen hat mich einige Tage Arbeit gekostet - aber nun läuft der Verstärker sehr schön. Weihnachten kann kommen!
Grüsse aus Karlsruhe,
Harald
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#2
Kann ich verstehen, dass Dein Schwiegersohn beim Anblick dieses Verstärkers feuchte Augen bekommen hat. Er wird weinen, wenn das das reparierte Gerät unterm Baum findet Smile Scherz beiseite, es ist wirklich ein sehr gesuchtes und begehrtes Gerät, nicht nur unter aktiven Musikern. Ein richtiger Schatz!
~~~Es gibt nichts Gutes, außer man tut es (Erich Kästner)~~~
Die einzige, falsche Entscheidung die du treffen kannst ist, keine Entscheidung zu treffen.
Ich bin nicht DICK, ich bin nur zu KLEIN für mein Gewicht  Big Grin
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#3
Wobei ich tatsächlich trotz feuchter Augen ein wenig zwiegespalten bin: daß die Vorstufe der M40 beibehalten wurde, ist einerseits verständlich (Betrieb der Hallgeräte), andererseits scheint sie der technisch schwächere Teil des Geräts zu sein. Auf der anderen Seite war da ja der Marktdruck nach mehr Leistung und das Problem, dass man schnell einen Ersatz für die M80/M120 benötigte, die mit den abgekündigten EL503 und ECC808 bestückt war. Es scheint, dass man da gleichzeitig in unterschiedliche Richtungen experimentiert hat.

Haarrisse auf den Platinen dieser Geräte sollen recht häufig aufgetreten sein. Klar, Kinderkrankheiten, die aufgrund der thermischen Bedingungen in der engen Kiste gehäuft auftreten. Meine M40 sind beide noch frei verdrahtet.

Aber auf jeden Fall schön, und für mich eine Mahnung, dass ich endlich mal den Rechner beseitelegen und den Lötkolben in die Hand nehmen sollte und zumindest ein paar alte Schätze sanieren (eine M40 will neue Gleichrichter, die andere neue Röhrenfassungen, bei einem Bassking 1 kratzt die Endstufe, ein Eminent 2 will ein neues Poti...)
LG

Beate

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#4
Guten Morgen,
ja,ist ein schickes Teilchen.
Das mit den Haarrissen kenn ich bei älteren geräten zur genüge.
Da kann man sich schonmal einige Stunden mit fehlersuche beschäftigen.

mfg Bernd
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#5
Sehr schöner Bericht Harald, vielen Dank. Ja was wird er dir an Weihnachten vorspielen?? bei Ausprobieren? In der Echolette die ECC die glühen??
mit freundlichen grüßen aus Dielfen (Siegerland)
Dietmar
Wenn einer dem anderen hilft ohne daraus Profit schlagen zu wollen dann sind wir auf einem guten Weg
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#6
Naja gesucht... Möglicherweise unter Sammlern. Aber zumindest wir aktive Gitarrenmusiker pflegen da eher ein zwiespältiges Dasein zu diesen Hybriden. Das Thema Ladenhüter ist da schon nicht ganz von der Hand zu weisen, damals wie heute.
Selbst die modernen Marshall-Hybriden der AVT-Serie fristen da eher ein Nischendasein...

Heute sind da die Vollröhrenboliden von Klemt oder die Dynacords wesentlich begehrter, ebenso wie Hohner Orgaphon o.ä.

Bei mir wird es übrigens einer meiner beiden Hughes & Kettner EDT20 sein, der repariert werden muss, dazu ein Umbau: anderes Gehäuse mit Tweedbezug statt dem schwarzen Effektlack, der da noch drauf ist. Dann wird ein Kunde seinen alter 7ender BF-Super Reverb vorbeibringen, Kratzen und Zischeln; hoffentlich keine Tweed Disease! Dann kommt ein 65er BF-7ender Bandmaster rein, der klingt dem Kunden erwartungsgemäß zu dünne (logisch bei der Schaltung)... Für Arbeit ist also gesorgt. Smile

LG MM
Gruß Michael

Penthode?
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#7
Eine ordentlich sanierte Echolette M100 ist aber sicherlich eine recht brauchbare PA, die heutzutage unterschätzt sein dürfte. Vor allem
Auch wenn der Dynacord Eminent 2 technisch überlegen sein dürfte (aber an inzwischen stark brüchigen Potischleifern leidet, für die es keinen Ersatz gibt...)

Ich messe das mal einfach daran, dass mein Yamaha Powermixer mit angeblich 200+200 W eine Leistungsaufnahme von gerade mal 240 W hat und ganz tief unten klein im Handbuch stehend 2x37.5W bringt...
LG

Beate

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#8
Freut mich ja schon, dass sich die musizierenden Forumsmitglieder durch meinen Beitrag dazu animieren ließen, hier ihre Meinung zu äußern. Finde ich toll, dass auf diese Weise das RBF noch ein weiteres Standbein erhält. 

Mein Kommentar zu den verschiedenen erwähnten Verstärkern:
In meinem Arbeitsumfeld im ehemaligen Forschungszentrum Karlsruhe - jetzt KIT - gab es einige musizierende Kollegen. Da sich herumgesprochen hatte, dass ich mich mit elektronischen Dingen nicht ganz blöd anstelle, gingen viele defekte Verstärker über meinen Tisch. Von MESA-Boogie-Mark-II bis CRATE VC 2121. Alle wurden repariert und alle klangen toll - und alle klangen unterschiedlich - kein Wunder bei der unterschiedlichen Signalaufbereitung.
Was ich damit sagen will: Ich habe mich hier über die KLEMT Echolette M100 nicht deswegen so ausführlich ausgelassen, weil ich sie als den ultimativen Verstärker ansehe. Der Grund liegt ganz woanders:

1. Ich wollte die Technik eines Gerätes dokumentieren, das ein wenig den Geschmack der späten sechziger widerspiegelt. Heute, 50 Jahre später, kennt noch jeder diese goldenen Kisten. Wer weiss, was man in weiteren 50 Jahren über die heutigen Verstärker sagt? Ja, ich weiss, es schwingt auch ein wenig Nostalgie mit - als der M100 gebaut wurde, war ich zarte 25 Jahre alt ...

2. Ich vermisse an den unzähligen Musik-Foren, dass sich mehr Leute hinsetzen, und für die anderen ganz genau beschreiben, welchen Fehlern sie bei der Reparatur eines bestimmten Gerätes begegnet sind, um den anderen einen Reparaturleitfaden zu geben oder sogar eine Anleitung für Verbesserungen. Diese Art der Dokumentation macht viel Arbeit - schon klar - und ich als Pensionär habe gut reden.

@Michael: Ich bin nicht so sicher, wie viele hier im Forum wissen, was die "Tweed Disease" ist. Vielleicht irre ich mich.

Hier findet man eine sehr schöne Erklärung:

http://archive.ampage.org/threads/5/dlxg...ase-1.html

Dort steht u.a.
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Tweed disease is the condition an original Fender fiber board develops if exposed to moisture (like when an amp that is stored in a garage or barn) for a long time. Some people have reported reversal of the symptoms by heating the boards with a blow drier. Some have said that makes it worse.  
 
What happens, is the board becomes conductive and allows stray voltages to travel between components (from eyelet to eyelet) that are not electrically connected. This has all kinds of consequences in the circuit depending upon where the conductivity happens. You can ground one lead of a test meter and poke an original board near eyelets to check for the presence of stray voltages as a test for tweed disease.
---------------------------------------------

Es handelt sich also um Entladungsprozesse in gedruckten Schaltungen, die sich gerne dann entwickeln, wenn diese lange Zeit unter dem Einfluss erhöhter Luftfeuchtigkeit standen. Ich muss gestehen, dass ich den Ausdruck noch nicht gehört hatte. Aber ich bin in der Szene nicht so bewandert.
Grüsse aus Karlsruhe,
Harald
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#9
Aber das müsste doch etwas sein, was bei alten Radios regelmäßig auftritt.

Die ältere meiner beiden Echolettes (M40) dürfte übrigens kaum jünger sein als ich
LG

Beate

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#10
Vollkommen richtig, Beate. Solche Kriechstromphänome gab es natürlich auch in alten Radios. Wenn auch in etwas andere Form.

Ich nenne ein paar Beispiele:

1. In vielen Radios der fünfziger und sechziger Jahre wurden Röhrenfassungen verwendet, die keine sehr stabile Kelchfedern verwendeten. Z.B. diese hier von Preh:


.jpg   Noval Chassismontage seitlich komp.jpg (Größe: 60,85 KB / Downloads: 633)

Der Anpressdruck an die Röhrenstifte war nicht so gewaltig und wenn die Röhren sehr oft gesteckt und gezogen wurden, leierten die Kelchfedern aus. Wenn man nun auf die geniale Idee kam, ein Kontaktmittel in die Fassung zu sprühen, hatte man ein richtiges Problem. Manche Kontaktmittel wie z.B. KONTAKT 60 führen dazu, dass das Pertinax-Trägermaterial leitfähig wird. Warten man nicht solange, bis das Lösungsmittel vollkommen verdunstet ist, kommt es zum Stromfluss durch das Pertinax... es fängt an zu kokeln, d.h. das Phenolharz wird zersetzt und es entstehen winzige Kohlenstoffinseln. Auch wenn dieser Prozess nur sehr kurzzeitig passierte, gab es einige Kohlenstoff-Atome, die einen leitfähigen Faden bildeten. Das bedeutet, dass selbst dann, wenn man seinen Fehler schnell erkannte und die Fassung danach lange trocknen liess, konnte es schon zu spät sein. Die Kohlenstoff-Atome trugen das elektrische Potential ins Material hinein (charge-hopping) und an der Spitze des "Fadens" herrschten sehr hohe elektrische Feldstärken, die winzige Korona-Entladungen auslösten. In diesen steckt zwar nicht viel Energie, aber aufgrund der winzigen Volumina ist die lokale Energiedichte so hoch, dass der Isolierstoff langsam aber sicher weg-erodiert wurde.... bis sich ein niederohmiger Entladungspfad bildete.

2. Ein ganz ähnliches Szenario. Diese Fassungen wurden auch für die Endstufenrören, wie z.B. die EL84 verwendet, deren Stifte im Betrieb sehr heiss werden. Allein schon durch diesen Wärmeeintrag litten die Fassungen. Liess nun noch der Kontaktandruck nach, so wuchs der Übergangswiderstand zwischen Kelchfedern und Röhrenstiften und es wurde im Kontaktbereich noch mehr Energie deponiert. Irgendwann fing es dann an zu kokeln... Siehe oben.

3. Auf stark verschmutzten Röhrenfassungen oder Leiterplatten (an Stellen wo Leitungen sehr unterschiedlichen Potentials nebeneinander liegen) bilden sich gerne Oberflächen-Gleitentladungen aus. Auch hier ist es so, dass sich zunächst meist nur sehr feine Entladungskanäle ausbilden, die sich aber durch die lokal sehr hohen elektrischen Feldstärken ins Isoliermaterial hineinfressen.

u.s.w.

Ich habe noch nicht davon gehört, dass sich bei Radios Entladungspfade durch Alterung oder Lagerung bei hoher Umgebungsfeuchte innerhalb des Isolierstoffs ausbreiten. Als Isolierstoff wurde ja meist ein Phenolharz-basiertes Material ohne ausgeprägte Textur-Orientierung verwendet. Nun wurden Radios mit gedruckten Schaltungen UND Röhren -also hohen Spannungen - garnicht über so lange Zeiträume gebaut. Trotzdem hätte man wahrscheinlich von solchen Schäden gehört.


Bei Instrumentalverstärkern wie bei den berüchtigten Fender liegt die Sache natürlich ein weniger andres. Für die Leiterplatten wurde ein Glasfaser - Epoxidharzverbund verwendet. Nun kann man lange darüber philosophieren, warum gerade diese Platinen von der Tweed Disease überfallen wurden:
Ein Denkansatz wäre folgender: In Materialien mit gerichteter Struktur (hier die Glasfasern) und Einschluss von Mikro-Gasblasen (der Verguss der Glasfasern erfolgt nicht unter Vakuum) kommt es bei Beanspruchung mit hohen Spannungen eher zu Isolationsproblemen als in amorphen Materialien. Die unterschiedlichen Dielektrizitätskonstanten der Glasfasern und des Epoxidharz führen zu lokaler Feldverdängung -> die elektrische Festigkeit sinkt.
Noch übler agieren die eingeschlossenen Gasbläschen. Will man Epoxidharz-Verbünde spannungsfest machen, so muss der Härtungsprozess immer unter Vakuum und unter Wärmezufuhr (Viskositätsreduktion!) durchgeführt werden, damit die Gasbläschen an die Oberfläche entkommen können.
Die Felsstärke innerhalb der Bläschen ist um ein vielfaches höher als im umgebenden Material, sodass innerhalb der Gasbläschen gerne Mikro-Koronaentladungen gestartet werden, die zur Materialerosion führen. Besonders heikel wird die Situation, wenn Feuchtigkeit in das möglicherweise durch Alterung versprödete Material eindringt. Da das Wasser mit einer Dielektrizitätskonstante von 81 das elektrische Feld noch stärker in die Gasbläschen verdrängt, steigt die Wahrscheinlichkeit von so-genannten Teilentladungen mit lokaler Materialschädigung und letztendlich der Ausbildung zunächst hochohmiger später auch niederohmoiger  Leitungskanäle.

So, nun habe ich lange genug doziert. Konnte ich mir einfach nicht verkneifen, da ich während der letzten 25 Jahre auf dem Gebiet der Hochspannungsphysik gearbeitet habe.

Vielleicht haben ja andere Kollegen noch ganz andere Erfahrungen mit erwünschten Stromleitungsphänomenen gemacht?
Grüsse aus Karlsruhe,
Harald
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#11
Nein, Du hast nicht zu viel doziert. Solche Themen halte ich für wichtig. Schließlich geschieht es ganz schnell, dass wir mal mit solchen Platinen konfrontiert werden. Zum Beispiel in einem alten Dynacord, bei dem die Fassungen für die Endröhren auf einer Epoxidharzplatine untergebracht sind. Auf deren Leiterbahnen liegen bis zu 750 V. Und so ein Ding nach einem Spannungsüberschlag an der Fassung?
LG

Beate

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#12
Zu viel doziert? Sicher nicht. Besonders der letzte Teil ist sicherlich genau das Problem der Zeilentrafos in alten Fernsehern.
Gruß aus Bremen

Enno
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#13
Die Dynacord-Platine ist übrigens real. Ich habe die verschmorten Stellen weggemacht und die Leiterbahnen erneuert. Meßtechnisch finde ich erstmal nichts, aber so ganz wohl ist mir bei der Sache nicht. Vor allem habe ich den Trafosatz noch nicht geprüft.
LG

Beate

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#14
@ Enno: Ja, diese Defekte in Zeilentrafo HV-Wickeln und alten MP-Blockkondensatoren haben häufig mit eingedrungener Feuchtigkeit zu tun. Häufig lassen sich Wickelblocks ja durch Erwärmen wieder ausheilen. Ob das erfolgreich ist, hängt von den schon vorhandenen Schädigungen des Dielektrikums ab. Bei der Interpretation elektrischer Versagensmechanismen muss man extrem vorsichtig sein. Nicht umsonst heißt die Physik der Hochspannungsentladungen bei den Physikern: "Küchenphysik". Kaum ändert man die Rezeptur ein wenig, schon schmecken die Weihnachtsplätzchen vollkommen unterschiedlich :c))
Auch könnte man denken, dass das in den Transformator- oder Kondensatorwickel eingedrungene Wasser selbst den Strom leitet. Nun ist das aus der Umgebungsluft eingedrungene Wasser ähnlich destilliertem Wasser zunächst einmal sehr hochohmig (~1µS/cm), stellt also für die angelegte Spannung einen sehr hohen Widerstand da. Das eingedrungene Wasser kann aber aus der benetzten Umgebung Bestandteile herauslösen, die die ionische Leitfähigkeit erhöhen. Damit es einen durchgehenden Leitungspfad von einem Pol zum anderen gäbe, müsste es dann aber immer noch eine durchgehende Benetzung geben, was wiederum nicht so wahrscheinlich ist.
Meistens sind es eben doch irgendwelche diabolischen Mischeffekte.

@Beate: Ja, bei 750V hört der Spaß auf. Da muss man schon aufpassen, dass es keine elektrischen Schwachstellen gibt. In einem Forum schrieb jemand, dass er mit seinem Messinstrument zwischen Steuergitter- und Anodenanschluss einer Röhre keinen Widerstand messen konnte - und trotzdem verschob sich im Betrieb die Gitterspannung der Röhre zu positiveren Werten. Warum hatte er nichts gemessen?
(i) weil der Leitungspfad in der Platine so hochohmig war, dass er zwar mit seinem Messinstrument nichts messen konnte, aber durch die hochohmige Gitterbeschaltung trotzdem eine Spannungsverschiebung stattfand?
(ii)  deswegen, weil Hochspannungsentladungen, die durch Koronaeffekte ausgelöst werden, erst ab einer bestimmten Schwellspannung starten? Die Spannung der in den Messinstrumenten eingesetzten Batterieen liegt aber weit unterhalb dieser Schwellspannung. Man misst also nichts.


Es könnte also sein, dass Du zwar die Brandspuren beseitigt hast, dass aber in der Umgebung trotzdem noch kleine, mit dem Auge nicht erkennbare, Kohlenstoffinseln existieren, die darauf warten, sich bei Dauerbetrieb des Verstärkers wieder auszubreiten. Ein bewährtes Mittel zur Vermeidung zukünftigen Ärgers ist z.B. das Auftrennen der Platine zwischen den korrespondierenden Leiterbahnen - ein Schlitz mit der Laubsäge hilft, da die Elektronen dann nicht mehr in Richtung des Potentialgefälles weiterlaufen können. Quer zum Potentialgefälle laufen sie ja nicht - da existiert ja keine treibende Kraft. Ob so etwas möglich ist, hängt natürlich von der Topologie der Leiterplatte ab.

Alles kompliziert :c((
Grüsse aus Karlsruhe,
Harald
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#15
Mit anderen Worten: am besten wie in den ersten Geräten der Baureihe auch frei verdrahten bzw. die "Höchstspannung" führenden Teile der Schaltung. Sofern der Trafosatz überlebt hat.
LG

Beate

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#16
(06.12.2017, 13:10)radioljub01 schrieb: 1. In vielen Radios der fünfziger und sechziger Jahre wurden Röhrenfassungen verwendet, die keine sehr stabile Kelchfedern verwendeten. Z.B. diese hier von Preh:

... habe ich auch noch rumliegen und werden sie wohl definitiv nicht wie eigentlich gedacht als Ersatz für die Fassungen der EL84 in der Echolette M40 einsetzen. Sondern doch neue Keramikfassungen.

Danke auch für diesen Hinweis!
LG

Beate

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#17
Hi,

"- ein Schlitz mit der Laubsäge hilft".
Wäre es nicht einfacher, die betreffende Leiterbahn an den beiden Lötpunkten aufzutrennen und durch einen isolierten Draht zu ersetzen?
Viele Grüße aus Loccum, Wolfgang

Wer niemals fragt, bekommt nicht einmal ein Nein zur Antwort.

In Memorandum 2018
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#18
Ja klar Wolfgang, das ist natürlich einfacher und stellt dann den ersten Schritt in Richtung der von Beate angesprochenen freien Verdrahtung im Umfeld hoher Spannungen dar. Ich wollte eigentlich nur andeuten, dass es vielleicht noch eine "letzte Chance" gibt, die Kriechwege auszuschalten, bevor man dann doch zu freier Verdrahtung übergeht.

@Beate: Ja, wenn Du Deine M40 reparierst, unbedingt die keramischen Fassungen nehmen. Mit diesen Mehrschicht-Pertinaxfassungen schafft man sich auf die Dauer nur neue Probleme. Für normale Radiozwecke sind die Pertinaxfassungen schon in Ordnung, aber in Leistungsendstufen habe ich damit schon zu viel Kummer gehabt
Grüsse aus Karlsruhe,
Harald
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#19
Hallo zusammen,

ich bin derjenige, dem nach und nach die Augen trocknen. Was für ein Weihnachtsgeschenk! Ein Echolette M 100 in einem solch liebevoll restaurierten Zustand dürfte wohl nicht mehr oft zu finden sein. Vielen, vielen Dank an Röhrenharry.

Ein paar Sätze möchte ich noch zu seinem zukünftigen Einsatz schreiben.

Der M 100 steht zur Zeit bei mir zu Hause und verbindet meine B3 Bj.1956 mit einer Leslie-Lautsprecherbox Bj.? (zweiteilig mit 15" Lautsprecher und Treiber).
Bei leicht geöffnetem Volumenregler klingt die Orgel ungemein warm und angenehm. Genauso wie es sein soll. Daß die Endstufe beim M 100 nicht röhrenbestückt ist, fällt überhaupt nicht unangenehm auf. Der Ton wird genauso verstärkt wie die Vorstufe ihn formt, und das noch, je nach Wunsch, auf eine brachiale Lautstärke.

Aber nun zum eigentlich Besonderen.

Man kann den M 100 ja als Orgelverstärker mit 4 vollkommen unabhängigen Röhrenvorstufen betrachten. Und da wird es interessant. Ich schließe die B3 über einen Switcher der Fa. Lehle an 3 von den 4 Eingangskanälen an. Kanal 1 auf 7 Uhr (schöne Orgel Smile ), Kanal 2 auf 12 Uhr (sie fängt je nach Stellung des Schwellers wunderschön zu fauchen an Smiley20 ) und Kanal 3 auf 17 Uhr (sie mutiert zum absoluten Beast à la Jon Lord Smiley34 ) . Jeder Kanal könnte nun auch noch mit unterschiedlichsten Effekten bedient werden.
Und das Ganze bei minimalsten Nebengeräuschen (sind`s die "neuen" ECC83 von Telefunken?). Wunderbar!

Jetzt weiß ich endlich, was ich die ganzen letzten Jahre vermißt habe.
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#20
Lieber Andreas (alias "Angellow"),

vielen Dank für Deine Kommentare in diesem Forum. Ich weiss das zu schätzen, denn Du gehörst ja nicht zu den  Radiobastlern, sondern zu den Musikern - also einer Gruppe die in unserem Forum eher weniger vertreten ist ... wenn man mal von der Beate und dem MichaelM absieht.

Für diejenigen, die nicht so sehr mit der Materie vertraut sind, hier ein paar Worte der Erläuterung:

Die "B3" ist eine berühmte Hammond-Orgel aus der Mitte der fünfziger Jahre. Ich habe noch nicht gehört, dass jemand diese Möglichkeit der Echolette M100 genutzt hat, die Andreas hier vorschlägt:
Man gibt das Ausgangssignel der M3 über einen schaltbaren Multiplexer ("Switcher") auf die 4 Eingänge der M100. Jeder der 4 Eingangsverstärker der M100 lässt sich in Pegel und Klangfarbe regeln, sodass man nun durch einfaches Umschalten des M3 Ausgangs auf die verschiedenen Eingänge des M100 eine ganz unterschiedliche Signalaufbereitung erzielt. Da bin ich mal gespannt, wie sich das anhört.  

"Röhrenharry" ist übrigens der Spitzname, den mir Andreas gegeben hat, da ich mich mit Röhren ganz gut auskenne... nicht zu vergleichen mit unserem Röhrenspezi Jakob!
Grüsse aus Karlsruhe,
Harald
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